Was bedeutet Armut?

Die Auffassung, was Armut ist und wer zur Gruppe der Armen gehört, ist sehr umstritten. Armut ist in jedem Fall mehrdimensional, d.h. sie ist sowohl ein ökonomisch-materielles, als auch ein kulturelles, soziales und psychisches Problem. Armut betrifft somit immer verschiedene Ebenen und Bereiche des Lebens einer Person.

Bei der Frage, was Armut ausmacht, wird zwischen absoluter und relativer Armut unterschieden. Der Weltbank zufolge ist absolute Armut durch ein tägliches Einkommen von max. 1,25 US$ (=1,11€) gekennzeichnet. Weltweit gibt es 1,2 Milliarden Menschen, die davon betroffen sind.

In Deutschland, als einem der reichsten Länder der Welt, spricht man von relativer Armut. Hier werden Menschen als arm bezeichnet, die an oder unterhalb der Armutsgrenze leben, d.h. deren Einkommen weniger als die Hälfte des Durchschnittseinkommens beträgt. Es geht dann weniger um die Frage des körperlichen Überlebens, sondern des menschenwürdigen Lebens. Im Jahr 2018 waren in Deutschland 18,7 Prozent der Menschen von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen (1).

Auf Basis der SOEP-Stichprobe lag die Niedrigeinkommensschwelle im Jahr 2019 für einen Einpersonenhaushalt bei 1.266 Euro netto pro Monat. In den 1990er Jahren lag der Anteil der Personen, die ein Einkommen unter der Niedrigeinkommensschwelle beziehen, bei elf Prozent. Bis zum Jahr 2015 stieg dieser Wert auf ca. 16,5 Prozent. Seither stagniert die Niedrigeinkommensquote auf diesem Niveau.

Unter der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund veränderte sich die Niedrigeinkommensquote mit einem Wert von rund zwölf Prozent in den vergangenen 15 Jahren kaum. Anders verhält es sich bei Personen mit direktem Migrationshintergrund: deren Quote stieg im Zuge der Flüchtlingsmigration seit Mitte der 2010er Jahre um fünf Prozentpunkte auf zuletzt 31 Prozent. Aber auch in der Gruppe der Menschen mit indirektem Migrationshintergrund ist ein Zuwachs auf zuletzt 30 Prozent zu verzeichnen [8].

Wie steht es um das Gefällt zwischen ‘arm’ und ‘reich’ in Deutschland?

Die Aufstiegschancen in Deutschland bleiben schlecht, d.h. wer unteren sozialen Milieus angehört, hat es schwer, nach oben zu kommen. Die Aufstiegschancen aus „Armut“ und „Prekarität“ sind dabei seit Beginn der 1990er- bis Anfang der 2000er-Jahre deutlich zurückgegangen und verbleiben seitdem auf niedrigem Niveau. Die Mittelschicht verliert in diesem Zusammenhang an Größe, weil aus dieser Gruppe zum einen immer wieder Menschen den Sprung in die Oberschicht schaffen, während aus den unteren Milieus weniger Personen in die Mitte aufsteigen (2).

Betrachtet man die Haushalte nach der Höhe des Vermögens, entfallen auf die Haushalte in der unteren Hälfte rund 1 Prozent des gesamten Nettovermögens, während die vermögensstärksten 10 Prozent der Haushalte über die Hälfte des gesamten Nettovermögens auf sich vereinen (2).

Auch hinsichtlich des Wohnortes unterscheiden sich die Vermögensverhältnisse: In Oberbayern und Rhein-Main, in und um Düsseldorf, Stuttgart oder Hamburg haben die Menschen besonders viel Geld. Fast überall im Osten sowie im Ruhrgebiet sind die Einkommen hingegen niedrig. Im Osten liegen nur sechs der 77 Kreise oberhalb einer Marke von 20 000 Euro pro Kopf, während nur 40 der 324 westdeutschen Kreise ein niedrigeres Einkommen aufweisen (3).

Armut und Gender

Die Armutsgefährdungsquote von Frauen* liegt 2019 bei 16,6%, die der Männer* bei 15,2%. Im Jahr 2019 betrug die Armutsgefährdungsquote in Deutschland insgesamt 15,9 Prozent (1).

Dass es in Deutschland mehr arme Frauen* als arme Männer* gibt, hat verschiedene Gründe: Frauen* droht nicht nur Armut, wenn sie arbeitslos oder erwerbsunfähig werden, sondern auch nach einer Trennung, wenn sie alleinerziehend sind oder im Alter. Aufgrund traditioneller Rollenbilder sind Frauen* nach wie vor außerdem mehr an die Haus- und Familienarbeit gebunden als Männer*. Dadurch fehlen ihnen Möglichkeiten und Ressourcen durch eigene Arbeit Einkommen zu erzielen. Ein fehlendes Einkommen gilt als größtes Armutsrisiko von Frauen*. Ein weiterer Grund sind große Lohnunterschiede zwischen Frauen* und Männern*.

Diese prekären Arbeitsverhältnisse vermindern, zum Beispiel im Fall von Arbeitslosigkeit, auch die Leistungen aus dem sozialen Sicherungssystem und fördern die Abhängigkeit der Frauen* von anderen. Am schlimmsten ist die Situation für Alleinerziehende. Sie sind am häufigsten von Einkommensarmut betroffen, da die Angebote zur Kinderbetreuung meist unzureichend sind und es für die Mütter deshalb kaum möglich ist, einer existenzsichernden Beschäftigung nachzugehen.

Sowohl Menschen mit Migrationshintergrund als auch Menschen mit Behinderung sind in Deutschland jeweils rund doppelt so häufig von Armut betroffen.

Armut und die Corona-Krise

Die Corona-Pandemie trifft maßgeblich die unteren Einkommensschichten. Von wachsenden Einkommen profitieren vor allem diejenigen, die schon vorher eher gut oder besser verdienten (2). Zudem ist für Einkommensschwache die Gefahr sich anzustecken größer: Oft haben sie Jobs, in denen sie täglich sehr vielen Menschen begegnen und können sich nicht ins home-office zurückziehen. Je höher die berufliche Position einer Person beziehungsweise deren sozialer Status, umso leichter ist es für sie, von zu Hause aus zu arbeiten (4).

Statistisch gesehen verteilen sich die Folgen der Corona-Krise zudem auch unterschiedlich auf die Geschlechter. In vielen der durch die Krise besonders belasteten Berufe arbeiten überwiegend Frauen*, wie im Einzelhandel oder in der Pflege (5). Sie arbeiten zudem öfter im Gastgewerbe oder im Büromanagement und damit in Branchen mit besonders großen Einkommens- und Arbeitsplatzverlusten (6). Geringverdienende, Teilzeitkräfte und Alleinerziehende, unter denen sich ebenfalls viele Frauen* wiederfinden, sind ebenfalls besonders von den Folgen der Pandemie betroffen (4).

Laut Paritätischem Armutsbericht 2022 hat die Armut in Deutschland mit einer Armutsquote von 16,6 Prozent im zweiten Pandemie-Jahr (2021) zudem einen traurigen neuen Höchststand erreicht. 13,8 Millionen Menschen müssen demnach hierzulande derzeit zu den Armen gerechnet werden, 600.000 mehr als vor der Pandemie. Der Paritätische Wohlfahrtsverband rechnet angesichts der aktuellen Inflation mit einer weiteren Verschärfung der Lage. Auffallend sei ein ungewöhnlicher Zuwachs der Armut unter Erwerbstätigen, insbesondere Selbständiger (von 9 auf 13,1 Prozent), die während der Pandemie in großer Zahl finanzielle Einbußen zu erleiden hatten. Armutshöchststände verzeichnen auch Rentner*innen (17,9 Prozent) sowie Kinder und Jugendliche (20,8 Prozent) [7].