Wie betrifft das Thema Geburt Gleichstellungsfragen?

Das Thema „Geburt“ reicht weit über den biologischen und medizinischen Bereich hinaus. So sind mit Geburt auch gesellschaftliche Fragestellungen verknüpft. In feministischen Zusammenhängen wird oftmals das einseitige Verständnis von Geburt auf sogenanntem „natürlichen Weg“ kritisiert, da so andere Formen von Geburt, z.B. durch künstliche Befruchtung, insbesondere von gleichgeschlechtlichen Eltern, als „unnatürlich“ stigmatisiert werden.

Frauen* als die Gebärenden sind mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen konfrontiert wie „Jede Frau* will Kinder.“, „Ein Kind gehört zu seiner Mutter.“ oder „Stillen ist das Beste für ein Kind.“ Darüber hinaus sehen sie sich auch strukturellen Benachteiligungen z.B. auf dem Arbeitsmarkt gegenüber, die ihnen vielfach eine feste Rolle innerhalb der Aufgabenverteilung zwischen Elternteilen zuweisen, was heutzutage in den meisten Fällen immer noch die Pflege der Kinder ist und nicht die Erzielung von Einkommen. Daher unterstellen viele Arbeitgeber*innen, dass junge Frauen* Kinder bekommen wollen, daher im Beruf ausfallen werden und deshalb teilweise ungern eingestellt werden oder Karriere machen können.

Auch die Themen Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsabbruch sind mit feministischen Fragestellungen nach der Selbstbestimmung von Frauen* verknüpft. So war die Antibabypille in der Bundesrepublik in den 1960-iger Jahren zunächst nur verheirateten Frauen* mit mehreren Kindern vorbehalten. Verhütung ist nach wie vor oftmals Frauensache. Und auch heute noch ist es in einigen Regionen aufgrund religiöser oder kultureller Traditionen komplett verboten zu verhüten. So ist Verhütung im katholisch-christlichen Glauben nur in Ausnahmefällen erlaubt.

Schwangerschaftsabbruch ist in vielen Ländern illegal und strafbar. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche in der Regel  laut § 218 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Für Aufsehen sorgte die Forderung nach der Abschaffung des § 219a StGB, dem Informations- und Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, nachdem die Frauenärztin Kristina Hänel auf ihrer Webseite über Schwangerschaftsabbrüche informierte. Der § 219a wurde im Februar 2019 reformiert, jedoch nicht abgeschafft.

In Sachsen rund um den sogenannten „Biblebelt“ Evangelikaler im Erzgebirge versammeln sich alljährlich Abtreibungsgegner*innen zum sogenannten „Marsch für das Leben“, der seit langem von feministischen Gegenprotesten begleitet wird.

Welche Daten liegen zu Geburten in Deutschland vor?

Im Jahr 2018 kamen in Deutschland 787 500 Babys zur Welt. Das waren rund 2 600 Neugeborene mehr als im Vorjahr. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilte, blieb damit 2018 die durchschnittliche Kinderzahl je Frau* auf dem Vorjahresniveau: Die zusammengefasste Geburtenziffer betrug 1,57 Kinder je Frau*.

In den neuen Ländern (ohne Berlin) war sie mit 1,60 Kindern je Frau* höher als im früheren Bundesgebiet (ohne Berlin) mit 1,58. Auch in Sachsen betrug die Geburtenziffer je Frau* 1,60 Kinder. Heraus sticht die steigende Geburtenhäufigkeit von Frauen* ab 40 Jahren: Zwar war ihre Geburtenhäufigkeit mit 88 Kindern je 1 000 Frauen* immer noch relativ gering, hat sich aber gegenüber 1990 fast vervierfacht.

Die zusammengefasste Geburtenziffer wird zur Beschreibung des aktuellen Geburtenverhaltens herangezogen. Sie gibt an, wie viele Kinder eine Frau* im Laufe ihres Lebens bekäme, wenn ihr Geburtenverhalten so wäre wie das aller Frauen* zwischen 15 und 49 Jahren im betrachteten Jahr.

Bei 94 Prozent aller Geburten werden mittlerweile medizinische Eingriffe vorgenommen. 22 Prozent werden eingeleitet. 37 Prozent der Babys in Deutschland kommen mithilfe eines operativen Eingriffes wie Saugglocke, Zange oder Kaiserschnitt zur Welt. Vor zwanzig Jahren, als etwa gleich viele Kinder geboren wurden wie derzeit, waren es noch 25 Prozent.

Gibt es Gewalt in der Geburtshilfe?

Das „Bündnis Gute Geburt“ bemängelt die anhaltenden Missstände in der Versorgung von Frauen* und Familien rund um die Geburt und in den ersten Lebenswochen des Säuglings. Ihre Bedürfnisse werden oftmals ignoriert. Viele Gebärende durchleben dadurch psychisch belastende oder traumatische Geburten, die Frauen*, Kinder und Familien prägen. Ebenso wirken sich massive strukturelle Defizite und eine mangelhafte Personalausstattung negativ auf die Arbeit von Hebammen und Ärzt*innen aus, die auch die Versorgung von Frau* und Kind beeinträchtigen.

Die Soziologin Christina Mundlos geht davon aus, dass fast die Hälfte aller Frauen* im Kreißsaal Erfahrungen mit verbalen oder körperlichen Übergriffen macht. Fast 50 Prozent der Gebärenden in Deutschland erleben laut Schätzungen Drohungen oder physische Gewalt unter der Geburt.

Die Soziologin bezeichnet das als strukturelle Gewalt, die nicht unbedingt absichtlich durch die individuell Beteiligten entsteht, sondern aus einem Machtgefüge im Kreißsaal heraus. Frauen* befänden sich unter der Geburt in einer maximal wehrlosen Lage und treffen dabei immer wieder auf Geburtshelfer*innen, die dieser Wehrlosigkeit mit Macht begegnen. Es geht dabei um brutale Eingriffe, aber auch um verbale Entgleisungen, um psychologischen Druck, der auf Gebärende ausgeübt wird, und um Handgriffe, die demütigend bis körperschädigend wirken können. Bei einer Intervention ohne Einverständnis der Frau* muss an dieser Stelle von einem Übergriff gesprochen werden. Offizielle Zahlen gibt es zu den Vorfällen bislang nicht.

Gewalt in der Geburtshilfe wird von der Weltgesundheitsorganisation als internationales Problem anerkannt und beschrieben. Die WHO definiert verschiedene Formen: verbale Drohungen und Beschimpfungen, körperliche Misshandlung wie Fixierung, Schläge, sexueller Missbrauch, medizinisch oft unnötige Eingriffe wie etwa ein Dammschnitt oder ein Wehenhemmer und in manchen Fällen auch ein Kaiserschnitt, wenn er als Folge von schlechter Betreuung zustande kommt. Auch Vernachlässigung zählt dazu, wenn die Hebamme nicht bei der Frau* bleibt, weil sie noch weitere Geburten betreuen muss.

Die Ursache dafür liegt oft in der mangelnden Zeit und der daraus folgenden Überforderung der Klinikmitarbeitenden, um die Frau* zu beobachten und mit ihr zu sprechen. Je weniger Zeit für die einzelne Frau* bleibt, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Komplikationen und Eingriffen kommt. Je mehr Eingriffe es gibt, desto mehr steigt auch die Gefahr gewaltsamer Interventionen.

Gewalt in der Geburtshilfe belegt damit ein strukturelles Problem, weil Geburten in Deutschland auch im Rahmen wirtschaftlicher Planbarkeit stattfinden müssen. Damit die Schichtpläne und Kreißsäle bestmöglich ausgelastet werden, greift Klinikpersonal in den Geburtsprozess nicht nur dann ein, wenn Gefahr für das Leben von Mutter und Kind besteht, sondern mitunter auch, wenn der Geburtsverlauf nicht zum Zeitplan der Klinik passt oder wenn ein Engpass im Kreißsaal herrscht.

Das deutsche Strafgesetzbuch kennt bislang keinen Straftatbestand der „geburtshilflichen Gewalt“. Gewalt gegen Frauen* während der Schwangerschaft kann – wie gegen jede andere Person – als Körperverletzung (§§ 223ff. StGB) bestraft werden. Jenseits des Anwendungsbereichs des Strafgesetzbuches können ggf. auch zivilrechtliche Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche im Raum stehen. Zur Betroffenheit von Gebärenden liegen noch keine belastbaren statistischen Daten vor.