Was bedeutet Intersektionalität?
Intersektionalität (aus dem Englischen: intersection – Kreuzungspunkt/Überschneidung) bezeichnet ein soziologisches Konzept, verschiedene Merkmale wie Geschlecht, Alter, ethnische und soziale Herkunft, Behinderung, sexuelle Orientierung, Aussehen oder Weltanschauung miteinander verschränkt zu sehen. Im Falle einer Diskriminierung bedeutet das auch, dass Menschen aufgrund der Verschränkung verschiedener Merkmale anders von Diskriminierung betroffen sein können, als Menschen, die nur aufgrund eines Merkmals diskriminiert werden. Intersektionalität beschreibt also die Diskriminierung auf Grund von mindestens zwei Kategorien, die sich wechselseitig bedingen.
Es kommt so zu einer spezifischen Form der Ungleichbehandlung einer Person, weil diese Trägerin von mindestens zwei sozialen Merkmalen ist, die im Zusammenwirken einen Grund für die Diskriminierung bilden. So sind zum Beispiel Schwarze Frauen* anders von Diskriminierung betroffen als Weiße Frauen* oder Schwarze Männer*. Das heißt, hier addieren sich die Diskriminierungsformen nicht einfach, sondern stellen eine eigenständige Form von Diskriminierungserfahrung dar. Die sozialen Merkmale bedingen sich gegenseitig und sind untrennbar voneinander zu verstehen, um den Grund der Diskriminierung zu erklären.
Verschiedene Merkmale für eine Diskriminierung können also nicht nur einzeln wirksam werden, sondern sich in bestimmten Situationen verschränken. Bekommt bspw. eine Frau*, die im Rollstuhl sitzt, eine Ablehnung auf eine Stellenbewerbung, kann die Ursache für eine Diskriminierung in dieser Situation auf Grund ihres Geschlechts oder ihrer Behinderung passieren oder auch wegen beider Merkmale (ein im Rollstuhl sitzender Mann* hätte die Diskriminierungserfahrung in derselben Situation möglicherweise nicht gemacht). Auf der anderen Seite kann eine gehbehinderte obdachlose Person gegebenenfalls nicht nur als obdachlos oder als gehbehindert diskriminiert werden, sondern sie kann auch die Erfahrung machen, als gehbehinderte obdachlose Person diskriminiert zu werden.
Ein anderes Beispiel betrifft Frauen* mit Behinderung, die oft in ihrem Reproduktionsrecht diskriminiert werden, da ihnen eine Schwangerschaft nicht zugestanden wird. Dies ist eine Form der Diskriminierung, die für Männer* mit Behinderung nicht greift, da diesen das Reproduktionsrecht nicht in Form einer Schwangerschaft abgesprochen werden kann und die andersherum für Frauen* ohne Behinderung nicht zutrifft, da von diesen Schwangerschaft geradezu erwartet wird. Dabei kommt es zu einer Verknüpfung und Verschränkung der hier wirksamen sozialen Kategorien ‚Geschlecht‘ und ‚Behinderung‘, was zeigt, wie sehr sich soziale Kategorien in ihrer Diskriminierungswirkung wechselseitig bedingen können.
Mithilfe des Ansatzes der Intersektionalität können so die unterschiedlichen Bedingungen einer Diskriminierung und ihre Wechselwirkung sichtbar gemacht werden. Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Klassismus addieren sich nicht nur in einer Person, sondern führen zu eigenständigen Diskriminierungserfahrungen. Somit kann eine vermeintliche Hierarchie unterschiedlicher Diskriminierungsformen verhindert und Identität als vielschichtiges Konstrukt verstanden werden.
Wie ist der Begriff entstanden?
Der Grundgedanke zur Intersektionalität geht auf den Black Feminism und die Critical Race Theory in den 1970er Jahren in den USA zurück. Geprägt wurde der Begriff der Intersektionalität 1989 von der US-amerikanischen Rechtstheoretikerin Kimberle Crenshaw. Crenshaws Ausgangspunkt, um sich mit der Verschränkung rassistischer und sexistischer Formen von Diskriminierung zu befassen, liegt in der Schwarzen Frauenbewegung. In einem 1989 erschienen Aufsatz hat sie das Bild einer Straßenkreuzung – englisch intersection – herangezogen: „Ähnlich wie der Verkehr an einer Straßenkreuzung kann Diskriminierung in die eine oder die andere Richtung fließen. Wenn auf der Kreuzung ein Unfall passiert, dann kann er durch Autos verursacht worden sein, die aus verschiedenen und manchmal aus allen Richtungen kommen. Ähnlich sieht es aus, wenn eine Schwarze Frau verletzt wird, weil sie sich auf der Kreuzung befindet: ihre Verletzung kann das Resultat geschlechtlicher oder rassistischer Diskriminierung sein.“
Die Schwarze Frauenrechtlerin Sojourner Truth hat bereits in den 1850iger Jahren versucht darauf aufmerksam zu machen, dass die damalige Frauenbewegung zu dieser Zeit vor allem eine Weiße Frauenbewegung war, die mit ihren Forderungen nicht an der Lebensrealität vieler Schwarzer Frauen* anknüpfte.