Ableismus kommt vom Englischen „to be able“ (zu etwas befähigt sein) im Gegensatz zu „to be disabled“ (nicht zu etwas befähigt sein) und beschreibt die Diskriminierung von Menschen mit psychischen, physischen, kognitiven und/oder emotionalen Behinderungen.

Diese Diskriminierungsform wird mit unterschiedlichen Begriffen beschrieben, die sich über die Zeit verändern und im Wandel sind. Zum Beispiel wird auch oft von der Diskriminierung von „Menschen mit Beeinträchtigungen/Einschränkungen, Menschen mit Handicap oder Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ gesprochen. Die Kritik an diesen Begrifflichkeiten ist u.a., dass Menschen mit Behinderung so zu „den anderen“ gemacht werden, die besondere Bedürfnisse haben und so die Strukturen und das System, das Menschen behindert, aus dem Blick gerät. Generell gilt: Menschen, die eine Behinderung haben, entscheiden selbst, welche Selbstbezeichnung sie verwenden.

Ableismus beschreibt, dass es nicht um ein Behindert-Sein geht, sondern um ein Behindert-Werden durch die Wechselwirkungen mit der Umwelt. Im Fokus steht also nicht die Person, sondern die Barrieren, die durch gesellschaftliche Normvorstellungen und institutionelle Hürden erzeugt werden und Menschen in ihrem Zugang, ihrer Teilhabe und Partizipationsmöglichkeiten behindern.

So schaffen vermeintliche Normvorstellungen über Gesundheit, Produktivität, Schönheit, Körper und andere Werte ein oft feindseliges Klima gegen all jene, die aufgrund ihrer physischen, psychischen, emotionalen oder kognitiven Verfasstheit aus dem herausfallen, was jeweils als gesellschaftlich akzeptabel und vermeintlich „normal“ definiert ist. Auf dieser Grundlage geschieht Strukturelle Diskriminierung. [1]

Seinen Ursprung hat der Begriff „Ableismus“ in der Behindertenrechtsbewegung der USA in den 1970iger Jahren und ist inspiriert durch die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung und die zweite Welle der feministischen Bewegung. [2]

Die Critical Disability Studies [3] definieren BeHinderung (Diese Schreibweise soll die soziale Konstruiertheit von Behinderung zum Ausdruck bringen) als sozial konstruiert. Sie verweisen darauf, dass die Bedeutung von körperlichen Merkmalen nicht in erster Linie von den Körpern selbst ausgeht, sondern immer mit gesellschaftlichen Vorstellungen von (mangelnden) Fähigkeiten wechselseitig verbunden ist. Diese Körperpolitik beruhe auf einer binären (zweigeteilten) und unveränderbaren Einteilung von „normal“ und „abnormal“, „fähig“ und „unfähig“, „behindert“ und „nicht-behindert.“ [4]

Auch psychologische Diagnosen sind von gesellschaftlichen Normen durchzogen und von ihrem historischen und kulturellen Kontext abhängig, wie zum Beispiel die Geschichte der Hysterie zeigt mit der das abweichende Verhalten von Frauen von vorherrschenden Weiblichkeitsvorstellungen pathologisiert wurde oder die langjährige psychiatrische Pathologisierung von Homo- und Bisexualität, die bis 1992 laut dem ICD (International Classification of Diseases – Internationale Klassifikation von Krankheiten) der Weltgesundheitsorganisation als „Sexuelle Verhaltensabweichung und Störung“ und somit als Krankheit galt. [5]

Wie werden Menschen ableistisch diskriminiert

Ableistische Diskriminierung liegt z.B. dann vor, wenn öffentliche Gebäude, Haltestellen oder Veranstaltungen nicht mit dem Rollstuhl zugänglich sind, PDFs im Internet nicht mit einem Screenreader (Gerät mit dem sehbehinderte Menschen sich Texte vorlesen lassen können) gelesen werden können oder auch wenn Dokumente oder Nachrichten nicht in Leichter Sprache zugänglich sind. Auch wenn Menschen mit Behinderung isoliert werden z.B. durch den Besuch von Förderschulen und danach keine Chance erhalten eine Arbeit auf dem 1. Arbeitsmarkt zu erhalten und stattdessen in Werkstätten für Menschen mit Behinderung arbeiten, wo sie keinen Mindestlohn bekommen und nicht über dieselben Rechte wie Arbeitnehmer*innen auf dem regulären Arbeitsmarkt verfügen. In Medien wie Film und Fernsehen reproduzieren oft stereotype Darstellungen von Menschen mit Behinderung ableistische Diskriminierung. Dies kann auch in Form von Überhöhung geschehen, indem Menschen mit Behinderung, die z.B. große sportliche Erfolge haben als Vorbild oder Inspiration inszeniert werden, die eine besondere Stärke aufweisen. U.a. die NEUE Norm – ein Magazin für Disability Mainstreaming spricht hier vom sogenannten „Inspiration Porn“ [6]

Da Menschen auf vielfältige Weise behindert werden, z.B. durch Wahrnehmungs- und Bewegungseinschränkungen oder chronische und entwicklungsbedingte Erkrankungen ist eine umfassende Barrierefreiheit oftmals nicht gewährleistet. Zudem sind viele Behinderungen, wie z.B. psychische Erkrankungen nicht immer sichtbar. Daher verwenden viele Akteur*innen, die ihre Angebote inklusiver gestalten eher das Wort „barrierearm“ und benennen, welche Maßnahmen und Vorkehrungen es genau gibt und welche konkreten Barrieren dadurch abgebaut werden.

Intersektionale Verschränkung von Ableismus mit anderen Diskriminierungsformen

Vor dem Hintergrund einer intersektionalen Perspektive ist auch Ableismus mit anderen Diskriminierungsformen wie Sexismus, Rassismus oder Klassismus verschränkt und verstärkt somit die Diskriminierung. So sind z.B. Frauen* mit Behinderung zwei- bis dreimal häufiger von sexualisierter Diskriminierung getroffen als Frauen* ohne Behinderung. [7]

Gründe hierfür sind u.a., dass Frauen* mit Behinderung oft abhängig von den Täter*innen sind, da diese sich oft im Familienkreis befinden oder Mitarbeitende oder Mitbewohnende in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung sind. So können Frauen* mit Behinderungen sexualisierten Übergriffen schlecht ausweichen, weil es kaum Schutzräume und barrierefreie Beratungsangebote für sie gibt. Zudem bekämen Frauen* mit Behinderung selten die Gelegenheit, über ihre eigene Sexualität zu sprechen und Fragen, Wünsche oder Grenzen zu formulieren. [8]

Viele Menschen mit Behinderung kritisieren auch, dass sie oft nicht als individuelle Person wahrgenommen werden und nur über Ihre Behinderung definiert werden und weitere Aspekte ihrer Identität wie Geschlechtsidentität, sexuelle Orientierung oder sexuelle Bedürfnisse kaum Raum erhalten. So sind zum Beispiel viele queere Räume oder LSBTIQ+ Räume nicht barrierearm. [9] Zudem würden in vielen feministischen Räumen die Lebensrealitäten von behinderten Frauen* noch zu wenig berücksichtigt: „Während Frauen* ohne Behinderung etwa gleichen Lohn oder faire Aufteilung von Sorgearbeit fordern, kämpfen Frauen* mit Behinderung nebenbei noch für die Basics: um einen Ausbildungsplatz, barrierefreie gynäkologische Untersuchungen oder einfach selbst entscheiden zu dürfen, wann man duscht.“ [10]

Aufgrund ableistischer Diskriminierung sind Menschen mit Behinderung häufiger arbeitslos oder arbeiten in Werkstätten für Menschen mit Behinderung, in denen sie im Schnitt nur 1,50 € in der Stunde verdienen und sind so häufiger von Armut bedroht als Menschen ohne Behinderung. [11] Diese Gefahr erhöht sich, wenn die Personen noch von anderen Diskriminierungen wie Rassismus oder Klassismus getroffen sind. [12]

Rechtliche Gleichstellung von Menschen mit Behinderung

2009 hat die Bunderepublik Deutschland die UN-Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen von 2006 ratifiziert und sich damit offiziell dazu verpflichtet, Menschen mit Behinderung umfassend vor Diskriminierung zu schützen und Inklusion voranzutreiben. Die UN-Behindertenkonvention enthält keine Sonderrechte für Menschen mit Behinderungen, sondern konkretisiert und spezifiziert die universellen Menschenrechte aus der Perspektive der Menschen mit Behinderungen. So sei Teilhabe von Menschen mit Behinderungen ein Menschenrecht, kein Akt der Fürsorge oder Gnade. [13]

Deutschland wurde mittlerweile schon zum zweiten Mal von den Vereinten Nationen für die Nichteinhaltung der Konvention gerügt u.a. aufgrund des stark ausgebauten Systems von Sonderstrukturen durch Förderschulen, Werkstätten oder stationären Wohneinrichtungen speziell für Menschen mit Behinderung, die eine erfolgreiche Inklusion verhindern. [14]

Auf Bundesebene soll das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 die Diskriminierung von Menschen u.a. aufgrund von Behinderung im Arbeitsleben und beim Erwerb von Gütern oder Dienstleistungen verhindern. Auf Landesebene Sachsen regelt das Sächsische Inklusionsgesetz von 2019, dass die Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention in Sachsen umgesetzt werden müssen. [15]

Netzwerke und Solidargemeinschaften

Lebendiger Leben e.V.: Verein zur Förderung selbstbestimmten Lebens von Frauen und Mädchen mit chronischen Erkrankungen oder Behinderungen in Sachsen.

Die Koordinierungsstelle Chancengleichheit Sachsen berät und unterstützt Hochschulen bei der Gleichstellung der Geschlechter und der Inklusion von Menschen mit Behinderung oder chronischer Erkrankung.

Die Aktionsplattform „AbilityWatch“ fordert als Teil der Behindertenbewegung die Vertretung für Menschen mit Behinderung von Menschen mit Behinderungen. Als DPO (Disabled People’s Organisation) organisiert „AbilityWatch“ Demonstrationen und macht durch Öffentlichkeitsarbeit auf die fehlende Gleichberechtigung und mangelnde Einhaltung der UN-Behindertenrechtskonvention aufmerksam.

Die Landesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe Sachsen e.V. will die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen und chronischen Erkrankungen in Sachsen verbessern.

LIGA Selbstvertretung Sachsen. Netzwerk Behinderung und Menschenrechte in Sachsen.

Ohrenkuss ist ein Blog in dem Menschen mit Downsyndrom über alles schreiben was sie interessiert und sie beschäftigt.

Echt behindert! – der Podcast zu Barrierefreiheit und Inklusion: In diesem Podcast geht es um Inklusion, Barrierefreiheit, Teilhabe und Diversität. Nach dem Motto „nichts über uns ohne uns“ sprechen behinderte Menschen über politische, soziale und persönliche Themen.

Kellerkinder e.V. ist ein Zusammenschluss von Menschen die aufgrund ihrer Lebenserfahrungen seelische Hindernisse (andere nennen es psychische Erkrankung/en) in ihrem Leben zu bewältigen haben und sich zusammengeschlossen haben, um ihre Interessen gegenüber der Gesellschaft zu vertreten.

EnableMe Community: Onlineforum für sichtbare und nicht-sichtbare Behinderungen und chronische Krankheiten. Für Selbstbetroffene, Angehörige und Freund*innen.

https://leidmedien.de/ wurde 2012 gegründet, um Journalist*innen Tipps für eine Berichterstattung über behinderte Menschen auf Augenhöhe zu geben. Ein Team aus Medienschaffenden mit und ohne Behinderung berät seitdem Redaktionen, um Berührungsängste abzubauen und Begegnungen zwischen nicht behinderten und behinderten Menschen zu schaffen.

#AbleismusTötet ist ein journalistisches Rechercheprojekt zu Gewalt an Menschen mit Behinderungen.

FmB – Interessensvertretung Frauen* mit Behinderungen in Österreich.