Welche Auswirkungen hat die Pandemie?

Seit dem 11.3.2020 wird die Ausbreitung des neuen SARS-CoV-2-Virus, auch Covid-19 genannt, durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Pandemie bezeichnet. Sie umfasst alle Kontinente mit Ausnahme der Antarktis und stellt alle Gesellschaften vor Herausforderungen von bisher unbekanntem Ausmaß. Die Covid-19-Krise wird als größte globale Krise seit dem zweiten Weltkrieg bezeichnet. Die Pandemie ist nicht nur eine Krise des Gesundheitswesens, sondern belastet alle Systeme der betroffenen Länder und birgt das Potential, große politische, soziale und ökonomische Schäden zu hinterlassen.

Eine Pandemie betont im besonderen Maße alle sozialen Ungleichheiten. Diese Ungleichheiten wiederum bestimmen, welche Personen von den Auswirkungen der Pandemie besonders betroffen sein werden, wie lange sie betroffen sein werden und wie schnell sie sich davon erholen können. Daher ist es besonders wichtig, soziale Ungleichheiten bei der Planung von Lösungsstrategien mitzudenken.

Wie hängen die Corona-Pandemie und Gender-Aspekte zusammen?

Ökonomisch

Anders als in bisher bekannten Krisen, wie z.B. der Wirtschaftskrise von 2008, sind Frauen* von der Covid-19-Pandemie im besonderen Maße betroffen, da sie mehrheitlich so genannte systemrelevante Berufe ausüben, wie beispielsweise Gesundheits-  und Pflegeberufe, (Not)betreuung von Kindern und anderen Menschen mit Betreuungsbedarf, Bildungsarbeit und Dienstleistungsarbeiten wie die Arbeit in Supermärkten. Frauen* haben weltweit weniger Einkommen, weniger finanzielle Rücklagen und Vermögen und arbeiten häufiger in unsicheren Berufen, d.h. sie sind häufiger von Kürzungen und Einkommenseinbußen betroffen. Einige Studien zeigen, dass Frauen* während Krisen als erste entlassen und als letzte neu angestellt werden. Dies ist unter anderem der Annahme geschuldet, dass Frauen* nicht die Hauptverdiener*innen im eigenen Haushalt seien und somit eher zu Hause blieben, um Kinder zu betreuen [2].

Viele der von Frauen* ausgeübten Berufe gehören zum informellen Arbeitssektor, der wiederum weniger soziale Sicherheiten mit sich bringt (d.h. niedrigschwellige Arbeitsplätze, für die keine formale Ausbildung notwendig ist und die weder statistisch erfasst, noch formell organisiert sind) [3]. Global betrachtet haben viele Frauen* keine Krankenversicherung und können Verdienstausfälle somit nur schwer abfedern. Alleinerziehende Mütter sind besonders betroffen. Finanzielle Einschnitte sind für Frauen* im Vergleich zu Männern* auf Grund fehlender Rücklagen – bedingt durch geringere Einkommen und mehr Teilzeitbeschäftigungen sowie höheren Fixkosten zur Versorgung von Kindern – schwerer zu verkraften.

Da Frauen* während der Pandemie somit verstärkt von Gehalteinschnitten und Mehrarbeit betroffen sind, wird die Arbeitssituation vieler Frauen* über die Dauer der Pandemie eine große Belastungssituation darstellen, die wiederum gesundheitliche und soziale Risiken für Frauen* birgt [4].

Familiäre Arbeitsteilung und unbezahlte Sorge-Arbeit

Die tiefgreifenden Einschränkungen des öffentlichen Lebens sorgen zusätzlich dafür, dass soziale Versorgungssysteme wie Kitas, Schulen oder Großeltern nicht mehr genutzt werden können, was am härtesten Alleinerziehende und allein pflegende Angehörige betrifft, von denen ein Großteil Frauen* sind. Die aktuelle Krise zwingt viele Menschen, Arbeit, Pflege, Kinderbetreuung und Beschulung unter einem Dach zu vereinbaren. Besonders schwierig wird es, wenn Alleinerziehende in ihren Berufen vor Ort arbeiten müssen, aber keinen Anspruch auf Notbetreuungplätze haben. Weitere Effekte können sein, dass zuerst die Arbeitsplätze von Frauen* gestrichen oder Stunden reduziert werden, weil bei ihnen ein erhöhter Kinder- oder Angehörigenbetreuungsbedarf entsteht.

Die Krise wird somit im doppelten Sinne von Frauen* getragen: Sie arbeiten in risikoreichen Berufsfeldern, die unverzichtbar sind und sind gleichzeitig von Jobverlusten, finanziellen Einbrüchen und häufiger von alleiniger Kinderversorgung betroffen. So arbeiten Frauen* öfter in Dienstleistungsbereichen, die von direkter Arbeit vor Ort abhängen und sind gleichzeitig mehr von Gehaltskürzungen oder Verlust von Arbeit betroffen. Durch die Doppelbelastung von Familienpflegearbeit und der Arbeit in systemrelevanten Berufen, sind viele Berufe, die von Frauen* ausgeübt werden, zudem nicht home-office fähig [5].

Damit verstärkt die Krise ohnehin existente Ungleichheiten. Aufgrund sozial vorherrschender Normen wird die Belastung für Frauen* größer, je weniger Betreuungsangebote zur Verfügung stehen, d.h. je weniger bei politischen Lösungen über Frauen*bedarfe nachgedacht wird, desto traditioneller sind die Rollen, in die Frauen* zurückfallen.

Weltweit sind fast 60 Prozent der Über-70-Jährigen Frauen* und über 60 Prozent von ihnen über 80 Jahre alt. Im Lebensverlauf sind sie häufiger von niedrigen Einkommen und somit später von niedrigen Renten betroffen und haben auf Grund der schlechteren Altersvorsorge geringeren Zugang zu bezahlten Pflegediensten [1; 6].

Bildung und Chancengleichheit

Die Pandemie hat auch globale Effekte auf Bildungschancen jugendlicher Mädchen* und junger Frauen*, da diese signifikant mehr Hausarbeiten verrichten als gleichaltrige jugendliche Jungen* und junge Männer* und während einer Pandemie bestehende Unterschiede in der Rollenverteilung im Haushalt noch mehr verstärkt werden. Mädchen* und junge Frauen*, die in Armut leben oder in abgeschiedenen Gegenden und/oder eine Behinderung haben, brechen weltweit daher auch häufiger die Schule ab und steigen nur selten wieder in den verlassenen Bildungsweg ein. Da weltweit die Bildungsstandards für junge Frauen* und Mädchen* bereits vor der Pandemie mangelhaft waren, ist davon auszugehen, dass diese Zustände sich pandemiebedingt verschlechtern werden. Erhebungen aus anderen Pandemien (z.B. der Ebolakrise) zeigen, dass vor allem jugendliche Mädchen* häufiger den Bildungsweg abbrechen und auch nach der Krise nicht wieder aufnehmen [1; 7; 8].

In Deutschland haben Kinder ein Recht auf Bildung, welches durch Pandemiemaßnahmen eingeschränkt werden kann. So stehen beispielsweise nicht allen Kindern Laptops oder Tablets für eine Online-Beschulung zur Verfügung, oder es gibt nur ein Gerät für mehrere Kinder im Haushalt. Zudem sind Bildungschancen in Deutschland stark von dem Bildungsgrad und der Hilfe der eigenen Eltern abhängig. Es ist davon auszugehen, dass diese Diskrepanzen in der Krisenzeit nochmal besonders verstärkt werden. Vor allem Kinder, die in Armut leben und/oder noch im Begriff sind deutsch als Zweitsprache zu erlernen, werden besonders betroffen sein [9; 10].

Gesundheit

Zugänge zu Gesundheitssystemen für Mädchen* und Frauen* können durch Pandemien erschwert werden. Sozioökonomischer Status, sexuelle Orientierung, Hautfarbe, Herkunft, Alter oder Behinderungsgrad etc. wirken sich auf den Zugang aus. Restriktive soziale Normen (wie beispielsweise starre Rollenbilder oder Ausgangssperren für Frauen*) sowie Stereotype können die Zugänge zusätzlich erschweren. Dabei haben Frauen* besondere gesundheitliche Versorgungsbedarfe.

Während Pandemien haben Frauen* geringeren Zugang zu Impfungen, Medikamenten und anderen Dienstleistungen des Gesundheitssektors, wie z.B. die Versorgung durch Hebammen oder einen Zugang zu Abtreibungen. Gerade in Deutschland gehören viele der Ärzt*innen, die noch Abtreibungen durchführen, vor allem auf Grund ihres Alters zur Hochrisikogruppe. Dadurch ist die Versorgung für Frauen*, die einen Schwangerschaftsabbruch durchführen wollen, noch schwieriger als vor der Krise. Eine Studie der UN geht außerdem davon aus, dass während der Corona-Pandemie alleine in Lateinamerika und der Karibik über 18 Millionen Frauen* keinen Zugang zu Verhütungsmitteln und Aufklärung über reproduktive Gesundheit haben werden [1]. Kürzungen in Gehältern oder Jobverluste können zur Folge haben, dass Frauen* sich Verhütungsmittel und Menstruationsprodukte nicht leisten können. Nach Schätzungen der UN könnte die Corona-Pandemie weltweit somit bis zu 7 Millionen ungewollte Schwangerschaften zur Folge haben [11].

Frauen* sind weltweit einem höheren Ansteckungsrisiko durch das Covid-19-Virus ausgesetzt, da sie weltweit 70 Prozent des Personals in sozialen Berufen und Pflegeberufen wie Krankenschwestern, Sozialarbeiter*innen oder Hebammen stellen und dreimal so viel unbezahlte Pflegearbeit leisten wie Männer*. Auch die Servicekräfte im Gesundheitssektor, wie beispielsweise Reinigungskräfte, sind hauptsächlich Frauen*. Zudem pflegen Frauen* häufiger Angehörige und Kinder und sind somit erhöhten psychischen Belastungssituationen ausgesetzt. Die Pflege älterer Menschen wird damit im besonderen Maße davon abhängig sein, wie gesund und versorgt die sie betreuenden Frauen* während der Covid-19-Pandemie sein werden [1; 6].

Häusliche und sexualisierte Gewalt gegen Frauen*

Die besonderen Umstände, die mit der Corona-Pandemie verbunden sind, wie beispielsweise die Einschränkung der Bewegungsfreiheit, Quarantänepflicht und finanzielle Sorgen führten schon gleich zu Beginn der Pandemie zu erhöhter Gewalt gegen Frauen* und Kinder [12]. Durch die Ausgangsbeschränkungen sind Frauen* ihren gewalttätigen Familienmitgliedern oder Partnern mehr ausgeliefert.

Frauen* mit Pflegebürde sind besonders von ökonomischen Einbrüchen betroffen. Dies kann eine (finanzielle) Abhängigkeit zu gewalttätigen Partnern verstärken und es noch schwerer machen, sich der Situation zu entziehen. Die Corona-Hygieneauflagen erschweren die Bereitstellung von Plätzen in Frauen*schutzhäusern. Die medizinische und psychologische Versorgung bei sexualisierter Gewalt ist unter Umständen schwerer zu erhalten oder entfällt gänzlich, wenn die Ressourcen der medizinischen Notversorgung von Corona-Patient*innen weichen muss. Familiäre Notlagen, wie beispielsweise finanzielle Not, können im Extremfall bedeuten, dass Frauen* und Mädchen* zwangsprostituiert, zwangsverheiratet oder sogar verkauft werden. Es kann dann ein Kreislauf aus Armut und Gewalt entstehen [11].

Politische und gesellschaftliche Teilhabe

Politische und gesellschaftliche Teilhabe sind durch Coronamaßnahmen teilweise nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. Die Besonderheit, dass die Corona-Krise hauptsächlich von Frauen* getragen wird, bedeutet auch, dass diese (noch) weniger Zeit zur politischen und gesellschaftlichen Teilhabe haben. Eine Folge davon ist, dass Frauen* auch aktiv weniger in politische Lösungsstrategien und Entscheidungen einbezogen werden.

Herrschende Machtstrukturen werden damit durch die Krise sehr deutlich: Während Frauen* in systemrelevanten Berufen arbeiten und zu Beginn der Krise kurz sichtbar wurden, inszenierten sich im öffentlichen Raum vor allem Männer* als Experten und Krisenmanager [13]. Jedoch sind Frauen* diejenigen, die am härtesten von der Krise betroffen sind. Ihre Belange bedürfen somit besonderer Aufmerksamkeit und politischer Vertretung.

Diskriminierung

Die Auswirkungen der Pandemie lassen sich nicht abschließend beschreiben. Fest steht jedoch, dass sie erheblich sind und auf dem Rücken der marginalisiertesten Mitglieder der Gesellschaft, insbesondere Frauen*, ausgetragen werden. Ungleichheiten, die bereits zuvor bestanden, werden verschärft und diskriminierende Strukturen gesellschaftlicher Systeme zeigen sich während der Krise besonders.

So wurden in Deutschland (und weltweit) gleich zu Beginn der Krise Menschen, die als Asiat*innen gelesen werden, massiv rassistisch beschimpft und angegriffen. Ein besonders drastisches Beispiel liefern die Todeszahlen aus den USA: So sterben Schwarze Menschen und People of Colour in den USA dreimal so häufig an einer Coronainfektion wie weiße US-Amerikaner*innen, da sie geringere Einkommen und weniger Zugänge zu gesundheitlichen Versorgungssystemen haben [14].

Geflüchteten wurde Asyl in sicheren Ländern verweigert und Lager für Geflüchtete nicht evakuiert, obwohl die Hygienezustände unzumutbar und gefährlich waren und sind [15; 16]. Die Versorgung Wohnungs- und Obdachloser wurde oft nicht gewährleistet [17]. Die Pandemie wirkt auch klassistisch, d.h. wer ärmer ist, hat ein höheres Risiko an Vorerkrankungen zu leiden oder in risikoreichen Jobs zu arbeiten und somit einem erhöhten Infektionsrisiko ausgesetzt zu sein [18].

Diese Beispiele zeigen, dass die Lösungsstrategien zur Überwindung der Covid-19-Pandemie unbedingt intersektional gedacht werden müssen, d.h. dass Mehrfachdiskriminierungen und ihre Auswirkungen sichtbar gemacht und mitgedacht werden müssen, damit ihnen entgegengewirkt werden kann.