Wie ist der Diskurs um ‘Flucht’?

Schon immer gab es Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen flüchten mussten bzw. geflohen sind. Neben Krieg, Verfolgung und existenzieller Not führen auch geschlechtsspezifische bzw. patriarchale Gewalt und Bedrohung dazu, dass Menschen ihre Heimatorte verlassen. So sind – entgegen des medienwirksamen Vorurteils, es würden nur junge Männer* fliehen – rund ein Drittel der Geflüchteten, die nach Deutschland kommen, Mädchen* und Frauen* [1;2].

Insbesondere durch den „Sommer der Migration“ [3] im Jahr 2015 sind die Themen „Flucht und Asyl“ in den Fokus der politischen und gesellschaftlichen Aufmerksamkeit geraten und werden kontrovers diskutiert. Die Bandbreite reicht dabei von politischen Forderungen nach einer Aufhebung nationalstaatlicher Grenzen, einem Bleiberecht für alle und Solidaritäts- und Hilfsleistungen für Geflüchtete, über Forderungen nach einem Einwanderungsgesetz und eines „kontrollierten Zustroms“ von potentiellen Fachkräften bis hin zu extrem rechten Positionen und Abschottungsphantasien der „Festung Europa“ wie sie von Parteien wie der AFD, aber auch von Vereinigungen wie PEGIDA oder den „Identitären“ vertreten werden [3].

In diesem Zusammenhang häufig verwendete Bezeichnungen wie „Flüchtlingswelle“ oder „Flüchtlingskrise“ tragen dazu bei, dass Geflüchtete oftmals als bedrohliche Masse und nicht als Menschen mit vielschichtigen Fluchthintergründen und individuellen Biografien wahrgenommen werden.

Gerade in Sachsen sind so extrem rechte Forderungen und rassistische Äußerungen zunehmend salonfähig geworden und erschweren geflüchteten Menschen ein sicheres Ankommen und Einleben in der neuen Umgebung. Aber auch strukturelle Barrieren (z.B. fehlende Anerkennung von Berufsabschlüssen, Arbeitsverbote, mangelndes Angebot an Sprachkursen oder fehlende Dolmetscher*innen etc.) sowie restriktive Bestimmungen des Asylrechts (z.B. Arbeitsverbote, strenge Wohnsitzauflagen, Residenzpflicht etc.) erschweren die viel beschworene „Integration“.

Studien über die Situation geflüchteter Menschen sind in diesem Zusammenhang eine wichtige Grundlage für strukturelle und politische Veränderungen. In der Arbeit mit geflüchteten Menschen ist es allerdings wichtig, die Perspektive der Geflüchteten selbst zu hören und in den Mittelpunkt zu stellen, um jenseits von Vorannahmen, Klischees und Stereotypen die Diversität von Geflüchteten zu berücksichtigen und die Individualität einer jeden Fluchtgeschichte anzuerkennen.

Welche Herausforderungen stellen sich für geflüchtete Menschen, auch unter geschlechtssensibler Perspektive?

Rassismus

Geflüchtete sind oft mit rassistischen und sexistischen Zuschreibungen konfrontiert. Weit verbreitet sind stereotype Vorstellungen von einem hypersexualisierten, „fremden“ und bedrohlichen männlichen Geflüchteten und einer unterdrückten wenig emanzipierten geflüchteten Frau*. Spätestens seit der Debatte um die Silvesternacht in Köln 2015 wurden rechtspopulistische Verknüpfungen von Geschlecht, Sexualität und Migration noch stärker im gesellschaftlichen Mainstream verankert, indem nicht die Ursachen sexualisierter Gewalt gegen Frauen* im Mittelpunkt standen, sondern die vermeintliche Identität der Täter [4].

Geschlechtsspezifische Gewalt

Von geschlechtsspezifischer und rassistischer Gewalt und Diskriminierung sind geflüchtete Frauen* und Mädchen* in spezifischer Weise betroffen. So sind Frauen* und Mädchen* oftmals sowohl auf ihrem Fluchtweg (sexualisierter) Gewalt ausgesetzt, als auch häufig im Ankunftsland in den Flüchtlingsheimen, durch andere Mitbewohner*innen, Sicherheitspersonal oder Lebenspartner*innen. Vor allem allein reisende Frauen* sind davon betroffen [5].

Beispielsweise führt die Dominanz von Männern* in den öffentlichen Räumen der Unterkünfte zu einer erhöhten Gefahr für Frauen*, zum Ziel von physischer, psychischer, sexualisierter und verbaler Gewalt zu werden. Der hohe Grad an Anonymität, teils keine abschließbaren Sanitär- und Duschräume, die mangelnde Intims- und Privatsphäre und die Isolation von der Gesellschaft fördern gewaltsame Situationen [6].

Sozialarbeiter*innen sowie andere in der Arbeit mit Geflüchteten Tätige fordern deshalb ein verbessertes Informations- und Beschwerdesystem z.B. durch die Entwicklung von Gewaltschutzkonzepten. Eine Kooperationsvereinbarung zum Schutz geflüchteter Menschen in Flüchtlingsunterkünften (Entwicklung und Überarbeitung von Mindeststandards, Förderung von Gewaltschutzkoordinierungsstellen, Schulung von Koordinator*innen & Einrichtungsleitungen) des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen UNICEF ist im Juni 2018 ausgelaufen. Die Umsetzung von Schutzkonzepten ist zum großen Teil von den jeweiligen Rahmenbedingungen vor Ort abhängig und liegt in der Zuständigkeit der Länder und Kommunen. Einige Länder haben mittlerweile eigene Gewaltschutzkonzepte entwickelt [1].

Das in Sachsen 2016 vom Innenministerium veröffentlichte Gewaltschutzkonzept zur Prävention von, Schutz vor und Hilfe bei Gewalt gegen Frauen* und Kinder sowie andere besonders schutzbedürftige Personen in Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates Sachsen liegt – laut eines offenen Briefes verschiedener sächsischer Vereine und Initiativen in der Arbeit mit Geflüchteten – weit hinter den Mindeststandards zum Schutz von geflüchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünften zurück. Die Transparenz der Umsetzung beschriebener Maßnahmen sei darüber hinaus nicht gegeben. Die Unterzeichner*innen fordern daher, das derzeit für Sachsens Erstaufnahmeeinrichtungen geltende Gewaltschutzkonzept in Abstimmung mit zivilgesellschaftlichen Akteur*innen zu überarbeiten und eine transparente Umsetzung sowie ein unabhängiges Beschwerdemanagement zu gewährleisten [6].

Asylverfahren

Auch im Asylverfahren sind Frauen* mit spezifischen Problemen konfrontiert. So werden sogenannte „frauenspezifische Fluchtgründe“ oft als unpolitisch und damit asylunerheblich eingestuft. Häufig erhalten so Frauen*, die geschlechtsspezifische Fluchtgründe angeben, nur ein Abschiebungsverbot, das erheblich weniger Schutz bietet als ein internationaler Schutzstatus und beispielsweise nicht zum Familiennachzug berechtigt [7].

Herausforderungen in der Lebensbewältigung

Zu den Lebensumständen in Deutschland berichten geflüchtete Frauen* – laut einer Studie der Charité Berlin – am häufigsten über strukturelle Probleme wie:

  • mangelnde finanzielle Mittel; keine Kostenübernahme für qualifizierte Dolmetscher*innen, um auch über schambesetzte Themen wie sexualisierte Gewalt sprechen zu können
  • bürokratische Hürden beim Zugang zum Gesundheitssystem und bei der Wohnungssuche
  • psychischen und gesundheitlichen Belastungen wie Zukunftsängsten oder das Fehlen von Privatsphäre [8].
Arbeitsmarkt

Bei der Suche nach einem Arbeitsplatz stehen laut einer Studie des BAMF (Bundesamt für Migration und Flucht)  geflüchtete Frauen* vor den Herausforderungen, dass sie aufgrund des erschwerten Zugangs zu Bildungsinstitutionen in vielen Herkunftsländern meist weniger schulische und berufliche Bildung mitbringen, seltener bzw. später an Integrationskursen teilnehmen und oftmals durch familiäre Verpflichtungen zusätzlich belastet sind. Der Wunsch nach Erwerbstätigkeit ist jedoch bei einer deutlichen Mehrheit der Frauen* vorhanden [9].