Welche Auswirkungen hat Geschlecht auf das Thema Gesundheit?

Frauen* und Männer* weisen verschiedene gesundheitliche Besonderheiten auf.  So können geschlechtsspezifisch einige Erkrankungen häufiger auftreten, die Wirksamkeit von Medikamenten kann unterschiedlich sein, aber auch der Gesundheitszustand in bestimmten Lebensphasen. Psychosoziale Einflussfaktoren wirken ebenfalls auf die Gesundheit von Frauen* und Männern*. Dazu zählen die persönliche Vorstellung der eigenen Gesundheit, das Gesundheits- und Risikoverhalten, die Wahrnehmung des eigenen Gesundheitszustands und die Inanspruchnahme von Vorsorge- und Früherkennungsmaßnahmen. Aufgrund dieser Besonderheiten ist eine geschlechtsspezifische Gesundheitsvorsorge und –förderung sowie Prävention sinnvoll.

Hier zeigen sich jedoch geschlechterspezifische Benachteiligungen, z. B. bei der Arzneimittelforschung und -entwicklung sowie bei Therapieleitlinien, die von „jung, weiß, männlich“ als der Norm ausgehen. Die Unterschiede zwischen Frauen* und Männern*, etwa bezüglich Stofwechsel oder Hormonstatus, werden in der Regel nicht thematisiert. Das führt zu gesundheitlichen Nachteilen für Frauen*: Bei Frauen werden häufiger als bei Männern psychische Gesundheitsstörungen diagnostiziert, wobei die Zusammenhänge mit herrschenden Geschlechterstereotypen unübersehbar sind. Bewusst oder unbewusst kommt es bei Frauen zu einer Überversorgung mit Psychopharmaka, dagegen – z. B. bei koronaren Herzerkrankungen – zu einen Unterversorgung aufgrund mangelnder Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Symptome. Bei intersexuell geborenen Menschen werden schwere Schädigungen aufgrund von Arzneimitteltherapien billigend in Kauf genommen [1].

Kritisiert wird in diesem Zusammenhang, dass weder die Bundes- noch die Landesregierungen ein konsistentes geschlechtersensibles und gleichstellungsorientiertes System zur Bekämpfung des Sex- und Genderbias in der Gesundheitsversorgung erarbeitet haben. Unabdingbar sei jedoch eine durchgängig geschlechtersensible medizinische Forschung und Leitlinienentwicklung sowie eine durchgängig nach Geschlecht spezifizierte Berichterstattung über das Versorgungsgeschehen und die Versorgungsqualität, bspw. von Krankenkassendaten oder der gesetzlich verpflichtenden Qualitätssicherung [2].

Die Gendermedizin untersucht in diesem Zusammenhang die gesundheitlichen Besonderheiten von Frauen* und Männern* und betrachtet neben biologischen Faktoren auch die soziokulturelle Dimension, also Umwelt und Umfeld. Die Erkenntnisse der Gendermedizin zeigen, dass die Unterschiede bei Erkrankungen von Männern* und Frauen* nicht statisch sind, sondern dass Biologie und Umwelt sich gegenseitig beeinflussen, d.h. wenn sich die Umwelt verändert, können sich auch soziale Rollenmuster und letztendlich Anpassungsvorgänge ändern. Wenn beispielsweise zukünftig mehr Frauen* in klassischen Männerberufen arbeiten, können sich Krankheitsmuster (z.B. durch körperlich anspruchsvollere Tätigkeiten) verändern oder anpassen.

Frauengesundheit

Ein zentrales Problem im Bereich Gesundheit ist die oftmals schlechte Erforschung so genannter „Frauenkrankheiten“. In der Forschung werden vermeintlich typische Symptome und Reaktionen auf Medikamente vor allem an Männern* dokumentiert. Dass bei gleichen Krankheitsbildern Frauen* andere Symptome zeigen, führt oft zu Fehldiagnosen.

Beispielhaft dafür sind das PCO-Syndrom (Polyzystisches Ovar-Syndrom) und Endometriose. PCOS ist zwar eine der häufigsten Stoffwechselstörungen und die häufigste Hormonstörung bei Frauen* im gebärfähigen Alter, aber dennoch ist der Weg zur Diagnose lang. Und auch dann erfolgt eine Behandlung nur mit Medikamenten im „Off-Lable-Use“, also mit Medikamenten, die nicht zur Behandlung von PCOS zugelassen sind, aber im Zusammenhang mit den Symptomen Wirkung zeigen. Das bedeutet, dass die Therapie häufig mit ungewollten Kompromissen einhergeht und dass die Patientinnen* die Kosten selbst tragen müssen. Als einzige Option wird meistens die Pille angeboten, die wiederum nicht von allen gut vertragen wird, starke Nebenwirkungen haben kann und bei Kinderwunsch nicht infrage kommt.

Ähnlich ergeht es Menschen mit Endometriose. Geschätzt wird, dass zwischen 8% und 15% aller Frauen* vor der Menopause betroffen sind. Um sich und anderen zu helfen, werden diese Frauen* selbst aktiv, beispielsweise in Selbsthilfegruppen oder Vereinen wie die Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V. oder der Endometriose Dialog e.V. [3].

Obwohl die Lebenserwartung von Frauen* etwa fünf Jahre höher ist als bei Männern*, gibt es bei ihnen Lebensphasen, in denen Sie besonderen körperlichen und psychischen Belastungen unterliegen, die ihre Ursachen vor allem in der Doppelbelastung durch Erwerbsarbeit und häusliche Pflichten haben. Diese führen bei vielen Frauen* zu Müdigkeit und Erschöpfung. Wie Forscher*innen der Hans-Böckler-Stiftung feststellen, sind Frauen*, die in Vollzeit arbeiten, häufiger erschöpft als Männer*. Das gilt auch dann, wenn sie keine Kinder haben. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen* mit Vollzeittätigkeit berichtet von Erschöpfungszuständen. Unabhängig von gelebter Elternschaft sind Frauen* zudem häufiger als Männer* von Essstörungen, psychischen Belastungen, Depressionen und Burn-Out betroffen.

Müttergesundheit

Für Mütter* bestehen, beginnend mit der Schwangerschaft, über die Geburt bis hin zum späteren Familienalltag, eine Vielzahl von Gesundheitsrisiken. Laut dem Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft e.V. gibt es in dieser Phase Versorgungsprobleme mit weiterführenden gesundheitlichen Folgen. Die medizinische Versorgung bei Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett ist umfänglich vorhanden, jedoch mangelt es an der Berücksichtigung emotionaler und psychosozialer Bedürfnisse. Ein negatives Geburtserleben kann auf lange Sicht eine schlechtere gesundheitsbezogene Lebensqualität nach sich ziehen, wenn die Frauen* danach nicht ausreichend unterstützt werden. Während und nach dem Wochenbett sind Frauen* auch bis zu einem halben Jahr nach der Geburt gesundheitlichen Belastungen und Stress ausgesetzt, was Stillprobleme verursachen und eine Belastung für Eltern- und Partnerschaft darstellen kann.

Rund 2 Millionen Mütter* in Deutschland sind nach Umfragen des Müttergenesungswerkes kurbedürftig. Der „Arbeitsplatz Familie“ ist für Mütter* oft mit erheblichen Gesundheitsrisiken verbunden. Erschöpfungszustände bis zum Burnout sind die häufigsten Gründe, die einen Kurbedarf von Müttern* begründen. Allergien, Magen-Darm-Störungen, Herz-Kreislauf-Störungen, Rückenschmerzen, Kopfschmerzen aber auch Unruhe, Nervosität, Schlafstörungen und Angst gehören darüber hinaus zu den häufigsten Gesundheitsproblemen. Häufig ignorieren Frauen* die ersten Anzeichen für gesundheitliche Störungen jedoch. Sie wollen für ihre Familie weiter funktionieren und an sich selbst gestellte Anforderungen erfüllen.

Mädchen* und Frauen* mit Behinderung

Stark eingeschränkt in ihrem Recht auf freie Ärzt*innenwahl sowie ausreichende Aufklärung und Teilhabe an Vorsorgeuntersuchungen sind Mädchen* und Frauen* mit Behinderung . Es fehlen bundeseinheitliche Vorgaben zu Mindeststandards für Barrierefreiheit sowie standardisierte Auskunftssysteme, Vergütungszuschläge für einen höheren Aufwand, verpflichtende Behinderung berücksichtigende Bildungsmodule für alle Gesundheitsberufe, fachliche Kenntnisse, adäquate Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sowie eine bedarfsgerechte Versorgung mit Heil- und Hilfsmitteln [2].

Männergesundheit

Auch Männer* gehen Gesundheitsrisiken ein, um ihrer Rolle in Privat- und Berufsleben gerecht zu werden. Traditionelle Männlichkeitsvorstellungen führen zu einem geringeren Gesundheitsbewusstsein und einem höheren Risikoverhalten im Alltag. Männer* missachten häufiger Warnsignale ihres Körpers, gehen seltener zum Arzt und nehmen weniger an gesundheitsfördernden Angeboten teil. Dieses Verhalten kann dazu führen, dass ernst zu nehmende Krankheiten zu spät erkannt werden.

Das Robert Koch Institut kommt in einem „Bericht zur gesundheitlichen Lage von Männern in Deutschland“ zu dem Schluss, dass Männer* aufgrund ihres Ernährungsverhaltens häufiger übergewichtig sind. Sie interessieren sich weniger für Ernährung, kochen seltener und essen mehr Fleischprodukte. Aktuell sind ca. zwei Drittel der Männer* in Deutschland übergewichtig. Derselbe Bericht zeigt auch, dass jeder dritte Mann* Alkohol in riskantem Ausmaß trinkt. Als Folge des Alkoholverhaltens sind Männer* häufiger von Krankenhausaufenthalten, Abhängigkeit und Todesfällen betroffen. Da Alkohol häufig mit Gewalt und Unfällen in Zusammenhang steht, kann es zur Störung sozialer Beziehungen sowie dem Verlust des Wohnraumes und Arbeitsplatzes kommen.

Auch bei psychischen Erkrankungen gibt es geschlechtsspezifische Unterschiede. So führen Leistungsdruck, soziale Krisensituationen und die permanente Erreichbarkeit bei Männern* zu einer höheren Suizidrate. Drei Viertel aller Selbsttötungen werden von Männern* unternommen und jeder 50. Todesfall eines Mannes* ist ein Suizid.

Gesundheit von Queeren Menschen

Sexuelle Orientierung und Identität sind soziale Determinanten von Gesundheit. Ein Gesundheitssystem, das Heterosexualität als soziale Norm postuliert und damit ein binäres Geschlechtssystem impliziert, in dem das biologische Geschlecht mit Geschlechtsidentität, Geschlechtsrolle und sexueller Orientierung für alle gleichgesetzt wird, verhindert eine angemessene Gesundheitsversorgung und medizinische Forschung für alle, die sich nicht in dieses Schema einordnen lassen, wie lesbische und bisexuelle Frauen, Trans*- und Inter*personen [1].

Eine Vielzahl von Studien zeigt, dass LGBTIQ*-Personen in zahlreichen Lebensbereichen, zum Beispiel im Arbeitsleben, diskriminierende Erfahrungen machen. Internationale Forschungsergebnisse belegen zudem, dass diese Erfahrungen und die durch die Antizipation von Ablehnung und Anfeindung hervorgerufene ständige Wachsamkeit, sich negativ auf die Gesundheit auswirken. Gemessen an der restlichen Bevölkerung leiden LGBTIQ* demnach deutlich häufiger an psychischen und körperlichen Erkrankungen. Dabei sind Trans*-Menschen besonders oft betroffen.

Queere Menschen haben demnach ein erhöhtes Risiko, an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Suizidalität zu leiden. Sie sind in Deutschland fast dreimal häufiger von Depressionen und Burnout betroffen als die restliche Bevölkerung. Außerdem fühlen sich queere Menschen doppelt so oft einsam. Bei Trans*-Menschen liegt der Anteil sogar bei 31 Prozent. Einsamkeit stellt eine bedeutsame Gefahr für die seelische Gesundheit dar. Sie entsteht, wenn die sozialen Beziehungen eines Menschen nicht dessen Bedürfnissen und Vorstellungen entsprechen.

Der Anteil von LGBTIQ*-Personen mit Herzkrankheiten, Asthma und chronischen Rückenschmerzen ist ebenfalls weitaus höher als in der restlichen Bevölkerung. Außerdem wurde doppelt so oft von Schlafstörungen und nahezu dreimal so oft von Ausgebranntsein (Burnout) berichtet. Insgesamt war ein fast doppelt so hoher Anteil von LGBTIQ*-Personen im Jahr 2019 länger als sechs Wochen krankgeschrieben als bei cis-heterosexuellen Menschen.

Aber auch innerhalb der LGBTIQ*-Gruppe zeigen sich deutliche Unterschiede: Bei 39 Prozent der befragten Trans*-Menschen wurde schon einmal eine Angststörung diagnostiziert; bei den cis-Menschen innerhalb der LGBTQI*-Gruppe waren es nur neun Prozent. Außerdem berichten elf Prozent der Trans*-Menschen, dass bei ihnen eine Essstörung festgestellt wurde. Damit ist die Häufigkeit dreimal so hoch wie bei cis-Menschen innerhalb der LGBTQI*-Gruppe.

Diese gesundheitlichen Unterschiede werden im Allgemeinen als Folge von chronischem Stress gedeutet, den LGBTIQ*-Personen im täglichen Leben in Form von Diskriminierung und ständiger Wachsamkeit erfahren. Der Weg zu gleichen Chancen auf ein gesundes Leben ist für LGBTQI*-Personen damit herausfordernd, da gesellschaftliche und institutionelle Diskriminierung einhergehen mit einer deutlich höheren psychischen und körperlichen Belastung [4].