Was bedeutet sexuelle Belästigung?

Der Begriff „sexuelle Belästigung“ ist der rechtliche, in den Gesetzen und in der Anwe­ndung des Gesetzes benutzte Begriff. Der politisch treffendere Begriff „sexualisierte Diskri­minierung und Gewalt“ macht inhaltlich deutlicher, dass nicht „Sexualität“ das Problem ist, sondern dass es um Machtmissbrauch geht, der auf eine sexualisierte Art und Weise ausgeübt wird. Dabei geht es nicht darum, was – angeblich – beabsichtigt war, wie z.B. Kompli­mente, Humor oder Flirten, sondern darum, was die Betroffenen als ihre persönliche Grenze definieren.

Sexuelle Belästigung und sexualisierte Diskriminierung und Gewalt kann sich auf ganz unterschiedliche Weise äußern:

Sprache – mündlich und schriftlich:

  • sexuell anzügliche Bemerkungen / Witze
  • aufdringliche / beleidigende Kommentare zu Kleidung, Aussehen, Privatleben
  • Fragen mit sexuellem Inhalt z.B. zu Privatleben und Intimsphäre
  • Aufforderungen zu intimen oder sexuellen Handlungen
  • sexualisierte oder unangemessene Einladungen / Verabredungen

Gesten und Bilder:

  • aufdringliches oder einschüchterndes Starren und anzügliche Blicke
  • Hinterherpfeifen
  • Unerwünschte Mails, SMS, Fotos, Videos mit sexuellem Bezug
  • unangemessene oder aufdringliche Annäherungsversuche in sozialen Netzwerken
  • Aufhängen / Verbreiten pornografischen Materials
  • Unsittliches Entblößen

Taten:

  • unerwünschte Berührungen (Tätscheln, Streicheln, Kneifen, Umarmen, Küssen) auch wenn es scheinbar unabsichtlich geschieht
  • körperliche Annäherung, Herandrängeln, übliche körperliche Distanz (ca. eine Armlänge) nicht wahren
  • körperliche Gewalt, jede Form sexueller Übergriffe bis hin zu Vergewaltigung

Welche Erfahrungen machen Betroffene von sexualisierter Gewalt?

Eine Person, die eine Grenzüberschreitung thematisiert, gerät dadurch leider schnell in den Fokus der Aufmerksamkeit. Noch dazu geht es hier um eine Verletzlichkeit bzw. Empfindlichkeit gegenüber einer meist stärkeren Person oder Gruppe. Darum braucht es so viel Mut, sich zu wehren und die eigenen Grenzen zu wahren. Eine betroffene Person verdient Anerkennung für diesen Mut und Solidarität in einer schwierigen Lage. Häufig erlebt sie jedoch das Gegenteil: Ihre Mitschuld an dem Problem wird gesucht, scheint oftmals wichtiger zu sein als der thematisierte Übergriff.

Im beruflichen Kontext sind häufiger Menschen von Grenzüberschreitungen betroffen, die in einer unterlegenen und abhängigen Position sind aufgrund von Status z.B. Betriebszugehörigkeit oder Hierarchie-Ebene wie als Auszubildende oder befristet Angestellte. Auch gesellschaftliche Machtgefälle spielen eine Rolle z.B. aufgrund von Alter, Geschlechts­identität, sexueller Orientierung, Behinderung, rassistischer Zuschreibungen u.ä.

Allen Beschäftigten steht rechtlich ein Schutz vor Übergriffen zu. Dieser Schutz ist durch die Istanbul-Konvention, das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das Strafgesetzbuch (StGB) und insbesondere das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geregelt.

Sexuelle Belästigung bzw. sexualisierte Diskriminierung und Gewalt kann für die Betroffenen gesundheitliche Folgen haben und im Arbeitskontext zu Leistungseinschränkungen, Krankheitsausfällen, langfristig negativen Folgen für die Karriere bis hin zu Kündigungen reichen.

Rechtlicher Schutz vor sexueller Belästigung durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

§3 (4) Eine sexuelle Belästigung ist eine Benachteiligung in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimm­tes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterun­gen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidi­gungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.

Die Regelungen des AGG umfassen den Schutz vor sexueller Belästigung in jeglichen Bereichen des Arbeitsverhältnisses: im Büro, Unternehmensgebäude, auf Dienstreisen, Arbeitswegen, Firmenfeiern, Betriebsausflügen, Pausen sowie bei SMS, E-Mails oder Anrufen. Dazu gehört der Schutz vor sexueller Belästigung durch Kolleg*innen, Vorgesetzte, Untergebene, Geschäftspartner*innen, Kund*innen, Klient*innen und Patient*innen.

Zur Umsetzung dieses Schutzes gehören erstens präventive Maßnahmen wie

  • Bekenntnis zu Null-Toleranz gegenüber sexualisierter Gewalt und sexueller Belästi­gung im Leitbild und eine klare Haltung der Führungsebene z.B. durch Verhaltenskodizes, Führungsrichtlinien, Dienst- oder Betriebsvereinbarungen oder Handlungsrichtlinien als Teil von Frauenförderplänen und Gleich­stellungskonzepten
  • Information und Sensibilisierung von Beschäftigten über Erscheinungsformen von sexualisier­ter Diskriminierung und Gewalt durch Flyer, Aushänge, im Intranet, auf Betriebsversammlungen und Weiterbildungen, durch Aushänge, Plakate, Rundschreiben, online-Medien, Aktionstage mit Informa­tionen und Empower­ment-Angeboten, in Kooperation mit externen spezialisierten Beratungsstellen
  • Befragungen von Beschäftigten oder Nutzung von Beteiligungsformaten, um zu sensibili­sieren und Hinweise auf bestehende und gefühlte Gefahrenlagen zu erhalten
  • Qualifizierungen von Ansprechpersonen und Führungskräfte wie Frauen- und Gleichstellungsbeauf­tragten, Betriebs- und Personalräten oder Auszubildendenvertretungen
  • transparente Beschwerdemöglichkeiten, sowohl betriebsinterne Ansprechpersonen und Beschwerdewege als auch Informationen über externe Beratungs- und Anlaufstellen

Zweitens umfasst das AGG auch die Verpflichtung von Arbeitgebenden zu frühzeitigen und klaren Sanktionen. So ist der*die Arbeitgeber*in verpflichtet zur Einrichtung und Bekanntmachen einer Beschwerdestelle (§13 AGG) und zur Unterbindung der sexuellen Belästigung (§12 AGG) durch Maßnahmen wie Ermahnung, Abmahnung, Versetzung oder Kündigung.

Betroffene haben die Möglichkeit zur Beschwerde (§13 AGG) bei der innerbetrieblichen AGG-Beschwerdestelle, zu klagen (AGG, ggf. Strafgesetzbuch (StGB)), das Recht auf Selbstschutz durch Einstellung der Arbeit (§14 AGG -Leistungsverweigerungsrecht), das Recht auf Schadensersatz oder Entschädigung (§15 AGG) und sind geschützt vor negativer Konsequenz (§16 AGG – Maßregelungsverbot).

Zu beachten sind jedoch die Fristen des AGG. So muss für eine Inanspruchnahme des AGG der Anspruch innerhalb von 2 Monaten gegenüber dem*der Arbeitgeber*in schriftlich geltend gemacht werden, z.B. bei der Beschwerdestelle. Anschließend kann innerhalb von 3 Monaten Klage eingereicht werden.

In jedem Fall empfiehlt es sich ein (Belästigungs-)Tagebuch zu führen (wer, wann, was), das Erlebte mit einer vertrauten Person zu teilen und sich Verbündete zu suchen.

Für Information und Unterstützung können Betroffene sich innerbetrieblich neben der AGG-Beschwerdestelle wenden an Frauen- oder Gleichstellungsbeauftragte, Betriebs- oder Personalrat, Vorge­setzte, Konfliktberater*innen oder das Gesundheitsmanagement oder sich außerbetrieblich Hilfe suchen bei externen Beratungsstel­len.

Wie sieht eine gute Beratung von Betroffenen aus?

Wichtig ist in der Beratung immer zu fragen und zu respektieren, was die ratsuchende Person möchte. Zuhören und das Dargestellte ernst zu nehmen, ist manchmal schon alles, was gewünscht ist:

„Wenn Sie das Gefühl haben, Ihre Grenze wurde verletzt oder das Verhalten Ihnen gegenüber war nicht in Ordnung, ist Ihr Gefühl richtig.“

Genauso wichtig wie die Betroffenen über ihre Rechte und Möglichkeiten zu informieren, ist es sie zu ermutigen und ihre Möglichkeit des eigenverantwortlichen Handelns zu stärken:

„Sie sind nicht schuld an dem übergriffigen Verhalten und können Unterstützung erwarten und erhalten.“

Die Ratsuchenden sollten darin bestärkt werden, darauf zu achten, dass sie bei allen Schritten ein gutes Gefühl haben, Vertrauen entwickeln, kritische Fragen stellen und immer auch „Nein“ sagen können.

 Zuerst sollte das Anliegen der Betroffenen Person geklärt werden und ein klarer Auftrag formuliert werden. Ist der Auftrag zunächst ein vertrauliches Gespräch, geht es um das Einholen von Informationen für Betroffene oder sollen weitere rechtliche Schritte eingeleitet werden? Dann sollten die Informationen gesammelt und strukturiert werden und je nach Anliegen Handlungsmöglichkeiten und Unterstützungsangebote aufgezeigt werden. Unbedingt sollten Ratsuchende über die 2-Monats-Frist für rechtliche Schritte nach dem AGG ab Kenntnis der Diskriminierung informiert werden und auch auf externe (spezialisierte) Beratungsstellen hingewiesen werden.