Wie betrifft das Thema Geburt Gleichstellungsfragen?

Geburt als medizinischer Vorgang

Das Thema „Geburt“ reicht weit über den biologischen und medizinischen Bereich hinaus. So sind mit Geburt auch gesellschaftliche Fragestellungen verknüpft. In feministischen Zusammenhängen wird oftmals das einseitige Verständnis von Geburt auf sogenanntem „natürlichen Weg“ kritisiert, da so andere Formen von Geburt, z.B. durch künstliche Befruchtung, insbesondere von gleichgeschlechtlichen Eltern, als „unnatürlich“ stigmatisiert werden.

Geburt und Erwartungshaltungen

Frauen* als die Gebärenden sind mit gesellschaftlichen Erwartungshaltungen konfrontiert wie „Jede Frau* will Kinder.“, „Ein Kind gehört zu seiner Mutter.“ oder „Stillen ist das Beste für ein Kind.“ Darüber hinaus sehen sie sich auch strukturellen Benachteiligungen z.B. auf dem Arbeitsmarkt gegenüber, die ihnen vielfach eine feste Rolle innerhalb der Aufgabenverteilung zwischen Elternteilen zuweisen, was heutzutage in den meisten Fällen immer noch die Pflege der Kinder ist und nicht die Erzielung von Einkommen. Daher unterstellen immer noch viele Arbeitgeber*innen, dass junge Frauen* Kinder bekommen wollen, somit im Beruf ausfallen werden und in der Folge bspw. seltener für Führungspositionen in Betracht gezogen werden.

Geburt und Rassismus

Dass nicht alle Mütter* als gleichermaßen wertvoll befunden werden, zeigen die verstörenden Zahlen, die belegen, dass in den USA Schwarze Frauen* das höchste Risiko tragen, während der Geburt zu sterben. Das betrifft auch die Kindersterblichkeitsrate und hat u.a. mit dem mangelnden Zugang zur Gesundheitsversorgung und geringem Einkommen zu tun.

Schwangerschaftsabbruch

Auch die Themen Geburtenkontrolle und Schwangerschaftsabbruch sind mit feministischen Fragestellungen nach der Selbstbestimmung von Frauen* verknüpft. So war die Antibabypille in der Bundesrepublik in den 1960-iger Jahren zunächst nur verheirateten Frauen* mit mehreren Kindern vorbehalten. Verhütung ist nach wie vor oftmals Frauensache. Und auch heute noch ist es in einigen Regionen aufgrund religiöser oder kultureller Traditionen komplett verboten zu verhüten.

Schwangerschaftsabbruch ist in vielen Ländern illegal und strafbar. In Deutschland ist ein Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Schwangerschaftswoche in der Regel laut § 218 des Strafgesetzbuches (StGB) strafbar. Für Aufsehen sorgte die Forderung nach der Abschaffung des § 219a StGB, dem Informations- und Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche. Von Abtreibungsgegner*innen wurde Paragraf 219a StGB in der Vergangenheit dazu benutzt, Frauenärzt*innen, die öffentlich auf die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen in ihrer Praxis hinwiesen, zu denunzieren und anzuzeigen. Die weite Auslegung des Paragrafen, die sich so etablierte, kulminierte in der öffentlich wirksamen Verurteilung der Frauenärztin Kristina Hänel durch das Amtsgericht Gießen 2017. Der § 219a wurde nach intensiven politischen Debatten am 19. Juli 2022 aufgehoben. Damit geht ein langer politischer Kampf zu Ende. Ärztinnen und Ärzte können nun Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen, ohne Strafanzeigen oder Strafverfolgung fürchten zu müssen. Gleichzeitig wird der Zugang zu Informationen für ungewollt Schwangere verbessert.

In Sachsen rund um den sogenannten „Biblebelt“ Evangelikaler im Erzgebirge versammeln sich alljährlich Abtreibungsgegner*innen zum sogenannten „Marsch für das Leben“, der seit langem von feministischen Gegenprotesten begleitet wird.

Welche Daten liegen zu Geburten in Deutschland vor?

Die Geburtenrate pro Frau* ist in den Mitgliedsländern der OECD in den vergangenen 60 Jahren um etwa die Hälfte geschrumpft. Während Frauen* in den OECD-Ländern 1960 noch 3,3 Kinder zur Welt brachten, waren es 2022 noch etwa 1,5 Kinder. Dabei lassen sich verschiedene Entwicklungsphasen ausmachen, die alle größtenteils durch kulturelle Veränderungen geprägt sind: die Emanzipationsbewegung der Frauen* und die Veränderungen von Geschlechterrollen in den 1960er Jahren; die starke Verunsicherung nach der Wende und Wiedervereinigung in den 1990er Jahren, die zu einem Tiefpunkt der Geburtenrate mit 1,2 Kindern je Frau* in Deutschland führte; eine erneut steigende Geburtenrate zwischen 1,3 und 1,4 Kindern je Frau* durch familienpolitische Maßnahmen wie Kita-Ausbau, Elterngeld und dem Ausbau von Ganztagsschulen ab Mitte der Nullerjahre. Seit 2022 lässt sich in vielen Ländern wieder ein Einbruch der Geburtenraten verzeichnen. Die Geburtenrate liegt akuell für Deutschland bei unter 1,4 Kindern pro Frau*, nachdem sie 2018 bei 1,57 Kinder je Frau* gelegen hatte. Vor allem die aktuellen Krisen und daraus resultierende Unsicherheiten, fehlender Wohnraum, Sorgen über Klimawandel, Kriege, politischen Rechtsruck und andere Krisen spielen dabei eine Rolle.

Auch das Alter der Mütter steigt weiter: Im Jahr 2000 waren Mütter* in Deutschland bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30,9 Jahre alt, im Jahr 2022 31,4 Jahre. Heraus sticht auch die steigende Geburtenhäufigkeit von Frauen* ab 40 Jahren: Ihre Geburtenhäufigkeit hat sich gegenüber 1990 fast vervierfacht.

Bei 94 Prozent aller Geburten werden mittlerweile medizinische Eingriffe vorgenommen. 22 Prozent werden eingeleitet. 37 Prozent der Babys in Deutschland kommen mithilfe eines operativen Eingriffes wie Saugglocke, Zange oder Kaiserschnitt zur Welt. Vor zwanzig Jahren, als etwa gleich viele Kinder geboren wurden wie derzeit, waren es noch 25 Prozent.

Gibt es Gewalt in der Geburtshilfe?

Das „Bündnis Gute Geburt“ bemängelt die anhaltenden Missstände in der Versorgung von Frauen* und Familien rund um die Geburt und in den ersten Lebenswochen des Säuglings. Ihre Bedürfnisse werden oftmals ignoriert. Viele Gebärende durchleben dadurch psychisch belastende oder traumatische Geburten, die Frauen*, Kinder und Familien prägen. Ebenso wirken sich massive strukturelle Defizite und eine mangelhafte Personalausstattung negativ auf die Arbeit von Hebammen und Ärzt*innen aus, die auch die Versorgung von Frau* und Kind beeinträchtigen.

Die Soziologin Christina Mundlos geht davon aus, dass fast die Hälfte aller Frauen* im Kreißsaal Erfahrungen mit verbalen oder körperlichen Übergriffen macht. Fast 50 Prozent der Gebärenden in Deutschland erleben laut Schätzungen Drohungen oder physische Gewalt unter der Geburt.

Die Soziologin bezeichnet das als strukturelle Gewalt, die nicht unbedingt absichtlich durch die individuell Beteiligten entsteht, sondern aus einem Machtgefüge im Kreißsaal heraus. Frauen* befänden sich unter der Geburt in einer maximal wehrlosen Lage und treffen dabei immer wieder auf Geburtshelfer*innen, die dieser Wehrlosigkeit mit Macht begegnen. Es geht dabei um brutale Eingriffe, aber auch um verbale Entgleisungen, um psychologischen Druck, der auf Gebärende ausgeübt wird, und um Handgriffe, die demütigend bis körperschädigend wirken können. Bei einer Intervention ohne Einverständnis der Frau* muss an dieser Stelle von einem Übergriff gesprochen werden. Offizielle Zahlen gibt es zu den Vorfällen bislang nicht.

Gewalt in der Geburtshilfe wird von der Weltgesundheitsorganisation als internationales Problem anerkannt und beschrieben. Die WHO definiert verschiedene Formen: verbale Drohungen und Beschimpfungen, körperliche Misshandlung wie Fixierung, Schläge, sexueller Missbrauch, medizinisch oft unnötige Eingriffe wie etwa ein Dammschnitt oder ein Wehenhemmer und in manchen Fällen auch ein Kaiserschnitt, wenn er als Folge von schlechter Betreuung zustande kommt. Auch Vernachlässigung zählt dazu, wenn die Hebamme nicht bei der Frau* bleibt, weil sie noch weitere Geburten betreuen muss.

Die Ursache dafür liegt oft in der mangelnden Zeit und der daraus folgenden Überforderung der Klinikmitarbeitenden, um die Frau* zu beobachten und mit ihr zu sprechen. Je weniger Zeit für die einzelne Frau* bleibt, umso größer die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Komplikationen und Eingriffen kommt. Je mehr Eingriffe es gibt, desto mehr steigt auch die Gefahr gewaltsamer Interventionen.

Gewalt in der Geburtshilfe belegt damit ein strukturelles Problem, weil Geburten in Deutschland auch im Rahmen wirtschaftlicher Planbarkeit stattfinden müssen. Damit die Schichtpläne und Kreißsäle bestmöglich ausgelastet werden, greift Klinikpersonal in den Geburtsprozess nicht nur dann ein, wenn Gefahr für das Leben von Mutter und Kind besteht, sondern mitunter auch, wenn der Geburtsverlauf nicht zum Zeitplan der Klinik passt oder wenn ein Engpass im Kreißsaal herrscht.

Das deutsche Strafgesetzbuch kennt bislang keinen Straftatbestand der „geburtshilflichen Gewalt“. Gewalt gegen Frauen* während der Schwangerschaft kann – wie gegen jede andere Person – als Körperverletzung (§§ 223ff. StGB) bestraft werden. Jenseits des Anwendungsbereichs des Strafgesetzbuches können ggf. auch zivilrechtliche Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche im Raum stehen. Zur Betroffenheit von Gebärenden liegen noch keine belastbaren statistischen Daten vor.