Was bedeutet ‘queer’?
Ursprünglich bezeichnete „queer“ in der englischen Sprache „sonderbar, anders“ und wurde abwertend als schwulen-, lesben- oder transfeindliches Schimpfwort benutzt. Am nächsten kommt dieser negativen Bedeutung im Deutschen wohl der Begriff „abartig/ abweichend“.
Heute ist das Wort auch im deutschsprachigen Raum eine Selbstbezeichnung sowie ein Sammel- und politischer Kampfbegriff für Menschen, die sich innerhalb der heteronormativen Gesellschaftsnorm nicht wiederfinden können oder wollen.
Mit heteronormativer Gesellschaftsnorm ist die strikte Trennung der Menschen in zwei Geschlechter (Frau/Mann) gemeint, auch „Zweigeschlechtlichkeit“ genannt sowie die Norm des heterosexuellen Begehrens gegenüber dem jeweils anderen Geschlecht (Frau liebt Mann/Mann liebt Frau). Heteronormativität gilt in der Queer Theory als Macht- und Unterdrückungsinstrument, das es zu hinterfragen gilt.
Was meint LGBTIQ* oder LSBTTIQ*?
‚Queer‘ kann als Synonym für die Abkürzung LGBT/ LGBTI (im Deutschen LSBT/ LSBTTIQ*) verwendet werden und meint damit Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen. Der vielfach auch mitangehängte Buchstabe „Q“ für „queer“ schafft hierin symbolisch Raum für alle diejenigen, die sich innerhalb dieser Personengruppen nicht wiederfinden können oder wollen. Der ebenfalls angehängte Asterisk * öffnet die Aufzählung noch einmal für alle weiteren möglichen Identitäten jenseits der Heteronormativität.
Damit knüpft die Queer-Theorie an die Geschlechterforschung an und entwickelt sie weiter. Nicht nur das biologische Geschlecht sex und das soziale Geschlecht gender gelten durch gesellschaftliche Übereinkünfte als „hergestellt“, sondern auch Sexualität und die damit verbundenen Normen sind historisch veränderlich. Alle drei Komponenten sind in Bezug auf Menschen getrennt voneinander zu betrachten: also das biologische Geschlecht, das soziale Geschlecht und die Form des sexuellen Begehrens.
Sie sind nicht auf eine grundlegende Natürlichkeit zurückzuführen und können nicht strikt oder „vorhersagbar“ aufeinander bezogen werden. Sie dienen damit auch nicht dazu Benachteiligungen und bestimmte Erwartungen an das Verhalten von Personen zu legitimieren oder zu rechtfertigen.
Worum geht es queerem Engagement?
Ziel queeren bzw. queer-politischen Engagements ist es, der Vielfalt von geschlechtlichen Identitäten, sexuellen und romantischen Begehrensformen und (Geschlechts)Körpern Raum und Ausdruck zu geben, sie rechtlich, politisch und sozial anzuerkennen sowie Geschlechterstereotype kritisch zu hinterfragen.
Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit sollen als das vermeintlich „Normale“ als Ausgangspunkt des Betrachtens und der Bewertung infrage gestellt werden, so, wie der Feminismus die Norm des Männlichen/ der männlichen Perspektive zuerst aufgedeckt, bewusst gemacht und dann in Frage gestellt hat.
Es gilt, normative Zuschreibungen an Geschlecht, Sexualität und Körper in der Gesellschaft aufzudecken und zu kritisieren, die geschlechtliche oder sexuelle Vielfalt einschränken oder nicht lebbar machen (bspw. genitalangleichende Zuweisungen an intergeschlechtliche Personen oder Diskriminierungen von transgeschlechtlichen Menschen im öffentlichen Leben). Je mehr eine Person von der „Norm“ (heterosexuell, eindeutig ‚Mann‘ oder ‚Frau‘) abweicht, desto größer wird auch die Intoleranz und umso weniger finden sich diese Menschen in gut bezahlter Arbeit, in Medien und Politik wieder.
Viele Feminist*innen bezeichnen sich heute als queer-feministisch. Der Queer-Feminismus wurde auch als 4. Welle des Feminismus bezeichnet, kann aber auch als Spielart der Vervielfältigungen der 3. Welle gesehen werden. Die kritische Auseinandersetzung des Queer-Feminismus bezieht sich meistens auf den Differenzfeminismus der zweiten Welle. Außerdem gibt es aktuell theoretische Auseinandersetzungen zwischen queerem und materialistischem Feminismus, letzterer knüpft weiterhin an linker Gesellschaftskritik und Marxismus an.
Werden queere Menschen immer noch diskriminiert?
Viele LGBTIQ-Menschen gehen im Kolleg*innenkreis nicht offen mit ihrer Sexualität um. 30 Prozent der homosexuellen Menschen werden in Deutschland im Arbeitsleben diskriminiert. Besonders schwer haben es Transpersonen, unter denen es sogar mehr als 40 Prozent sind. Im Arbeitsleben müssen daher homo- und bisexuelle Menschen häufig neben Mobbing auch sexuelle Belästigung erfahren und halten deshalb ihre geschlechtliche Identität oft geheim. Dies hat eine Umfrage des Sozio-oekonomischen Panels und der Universität Bielefeld ergeben, die LGBTQI*-Menschen zu ihren Erfahrungen und Erwartungen im Arbeitsumfeld befragt hat [1].
Internationale Forschungsergebnisse belegen außerdem, dass LGBTQI*- Personen ein erhöhtes Risiko haben, an psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Suizidalität zu leiden. Diese gesundheitlichen Unterschiede werden im Allgemeinen als Folge von chronischem Stress gedeutet, den LGBTQI*-Menschen im täglichen Leben in Form von Diskriminierung und ständiger Wachsamkeit erfahren. So ist der Anteil von LGBTIQ*-Personen mit Herzkrankheiten, Asthma und chronischen Rückenschmerzen weitaus höher als in der restlichen Bevölkerung. 40 Prozent der Trans*-Personen leiden unter Angststörungen und queere Personen fühlen sich doppelt so oft einsam wie die restliche Bevölkerung [2].
Am 24. Juni 2020 ist das „Gesetz zum Schutz vor Konversionsbehandlungen“ in Kraft getreten. Behandlungen an Minderjährigen und an Volljährigen, die nicht wirksam eingewilligt haben, die darauf abzielen, die sexuelle Orientierung oder die selbstempfundene geschlechtliche Identität gezielt zu verändern oder zu unterdrücken, stellt das Gesetz unter Strafe. Es verbietet ferner das Werben für sowie das Anbieten und Vermitteln von sog. Konversionstherapien. Verstöße werden mit Bußgeldern geahndet [3].